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Verwandtenunterhalt: Angemessener Selbstbehalt bei Rückforderung einer Schenkung

Dr. Wolfram Viefhues*

Kommt ein Elternteil ins Pflegeheim, reichen die Rente und die Leistungen der Pflegeversicherung i. d. R. nicht aus, die Heimkosten abzudecken. Dann muss das Sozialamt einspringen und die Kosten übernehmen. Allerdings besteht ein Unterhaltsanspruch des Elternteils gegen sein Kind, sofern dieses leistungsfähig ist. Dieser Unterhaltsanspruch geht auf das Sozialamt über, das dann das Kind auf Zahlung in Anspruch nehmen kann. Für das Kind ebenfalls kritisch ist der vom Bundesgerichtshof (BGH, Urteil v. 16.4.2024 – X ZR 14/23, NWB EAAAJ-66430) kürzlich entschiedene Fall, dass das Sozialamt eine Schenkung des Elternteils an das Kind herausverlangt.

Angehörigen-Entlastungsgesetz zieht eine Einkommensgrenze von 100.000 €/Jahr

Die Situation, dass „leistungsfähige“ Kinder ihren Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sein können, wurde als unbefriedigend angesehen und für die in Anspruch genommenen Kinder der Begriff „Sandwichgeneration“ geprägt. Damit wird umschrieben, dass die Eltern erst einmal mit erheblichem finanziellen Aufwand ihre Kinder großgezogen haben und dann, wenn diese Belastung entfallen ist, für die eigenen Eltern aufkommen müssen – sie bekommen also unterhaltsrechtlich gesehen wie ein Sandwich „Druck von beiden Seiten“.

Der Gesetzgeber hat deshalb mit der Verabschiedung des Angehörigen-Entlastungsgesetzes festgelegt, dass seit dem 1.1.2020 ein solcher Übergang der Ansprüche der Eltern auf das Sozialamt ausgeschlossen ist, wenn das Einkommen des Kinds der pflegebedürftigen Eltern ein Jahreseinkommen von 100.000 € nicht überschreitet (vgl. § 94 Abs. 1a SGB XII).

Geltung der Grenze von 100.000 €/Jahr auch für den Selbstbehalt des Kinds?

Geht es um die Frage des Unterhaltsanspruchs des Elternteils, wurde bisher daraus überwiegend die Forderung abgeleitet, den angemessenen Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Kinds in Anlehnung an diese Einkommensgrenze deutlich zu erhöhen.

Hat der Elternteil sein Vermögen an das Kind verschenkt und liegt diese Schenkung weniger als zehn Jahre zurück, kann in diesen Fällen das Sozialamt den Anspruch auf Rückgabe der Schenkung (Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers, § 528 BGB) geltend machen. Diesen Rückforderungsanspruch kann der Beschenkte – also das Kind – abwehren, wenn durch die Herausgabe sein standesgemäßer Unterhalt gefährdet wird (§ 529 Abs. 2 BGB).

Die Abwehr von Ansprüchen hängt also davon ab, wie der „standesgemäße Unterhalt“ in § 529 BGB definiert wird. Im Gegensatz zur Vorinstanz (OLG München, Endurteil v. 12.1.2023 – 8 U 2430/22) hat der BGH entschieden, dass die in § 94 Abs. 1a SGB XII für den Übergang von Unterhaltsansprüchen auf Sozialhilfeträger maßgebliche Einkommensgrenze von 100.000 €/Jahr hier keine Bedeutung hat. Der Selbstbehalt ist vielmehr nach den Vorgaben von § 1603 Abs. 1 (Leistungsfähigkeit) und § 1610 BGB (Maß des Unterhalts) zu bemessen, jedoch ohne Orientierung an Zweck und Rechtsgedanken des Angehörigen-Entlastungsgesetzes.

Fundstelle(n): NWB 2024, NWB JAAAJ-70464

*Dr. Wolfram Viefhues, weiterer Aufsicht führender Richter am AG a. D.

Quelle: NWB vom 12.07.2024 – NWB JAAAJ-70464